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Jörg Pietschmann: Ein Traum wird wahr

Erstellt von: Friederike Weiler

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Willingen bekommt eine neue Schanze, starten sollen die Bauarbeiten im Herbst 2026. Zwei Jahre später soll die HS87-Schanze am Mühlenkopf stehen und als Bindeglied zwischen Kinder- und Jugendschanzen und der Großschanze dienen. Sie wird ganzjährig nutzbare, moderne Trainingsbedingungen bieten und ist ein wichtiger Pfeiler für die Nachwuchsförderung und soll außerdem den Wintersportstandort Willingen nachhaltig stärken. Skisprung-Trainer Jörg Pietschmann erklärt im Interview, warum die Anlage unverzichtbar ist und welche Chancen sie eröffnet.

 

Welche Rolle spielt die neue HS87-Schanze für die Entwicklung junger Skispringerinnen und Skispringer?
Die neue Schanze ist für uns ein Meilenstein, quasi der fehlende Baustein. Wir hatten früher eine HS90-Schanze am Mühlenkopf, die mit dem Neubau der Großschanze im Jahr 2000 leider weichen musste. Zu dieser Zeit war man leider nicht so weitsichtig im Hinblick des Skisprungs in Willingen. Damit haben wir uns die Nachwuchsarbeit erschwert. Seit 1996 arbeite ich daran, den Skisprung-Nachwuchs in Willingen zu fördern – und trotz schwieriger Bedingungen haben wir große Erfolge mit Sportlern gefeiert, die wir hier ausgebildet haben: 14 Medaillen bei Deutschen Meisterschaften, Junioren-Weltmeisterschaften, Weltmeisterschaften und sogar Olympischen Spielen. Die HS87 schließt jetzt die Lücke zwischen der kleinen Orenbergschanze, die Baujahr 1974 ist und bei der wir die Flugkurve immer wieder angepasst haben, um weiterhin gut auf ihr trainieren zu können, und der Mühlenkopfschanze und bietet die Grundlage für den nächsten Schritt. 

 

Warum ist es so wichtig, eine Schanze zu haben, die den Übergang erleichtert?
Auf einer HS87 legt man die Grundlagen, die man benötigt, um dann den nächsten Schritt machen zu können, sich großen Schanzen zu stellen. Selbst die Weltklasse-Springer trainieren auf solchen Schanzen, um Stabilität in den Sprung zu bekommen. Unsere kleinste Schanze am Orenberg hat eine Hillsize von 46 und dann direkt den Sprung auf eine HS100 oder HS120 zu machen, oder etwa die Mühlenkopfschanze mit HS147 – das ist ein viel zu großer Schritt. Mit der HS87 können wir nahtlos vom Orenberg auf die neue Schanze wechseln, ohne lange Fahrten zu anderen Standorten zu haben. 

 

Welche Vorteile bietet die neue Anlage im Vergleich zu den bisherigen Trainingsmöglichkeiten?
Wir können ganzjährig trainieren – im Sommer auf Matten, im Winter auf einer Eisspur. Das reduziert die Zahl der Lehrgänge und die vielen Reisen, die bisher nötig waren. Lehrgänge wird es zwar auch weiterhin geben, weil wir immer mal einen Schanzenwechsel benötigen, vor allem im Winter, damit wir auch auf Schnee trainieren können, aber wir können danach direkt zuhause sauber weiterarbeiten. Das war sonst nicht möglich, wir mussten uns oft von Wettkampf zu Wettkampf hangeln, was auch enormen finanziellen Aufwand bedeutete. Jetzt können wir die Qualität des Trainings deutlich steigern und viel mehr zuhause trainieren.

 

Welche Chancen eröffnet die Schanze für Talente, die den Sprung in die nationale oder internationale Spitze schaffen wollen?
Die neue Schanze gibt uns die Möglichkeit, Talente in Willingen zu halten. Bisher sind die meisten Sportler nach der Grundausbildung an andere Stützpunkte gegangen, weil wir keine passende Schanze hatten. Mit der HS87 können sie bald aber den kompletten Weg hier gehen, ohne einen Leistungsverlust zu haben. Ein Stephan Leyhe oder Robin Kloß hätten somit nicht wechseln müssen. Auch Michelle Göbel hätten wir vielleicht halten können. Und für die Eltern ist das ebenfalls wichtig – sie fragen immer, wie es weitergeht. Jetzt können wir sagen: Der Weg bis in die Spitze ist in Willingen möglich. 

 

Wie wichtig ist die neue Schanze für die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und die Förderung des deutschen Skispringens insgesamt?
Es gibt in Deutschland nicht viele moderne Schanzen dieser Größe. Unsere neue Anlage wird vor allem für den norddeutschen Raum interessant sein und die Infrastruktur hier deutlich verbessern. Das stärkt die Nachwuchsarbeit bundesweit. Auch Lehrgänge anderer Vereine können bei uns demnächst super durchgezogen werden, weil wir dann beste Voraussetzungen bieten können.

 

Können auch Wettkämpfe auf der neuen Schanze ausgetragen werden?
Auf jeden Fall: Der Deutsche Skiverband ist eng mit dem Schanzenprojekt verbunden und sucht Veranstalter, die Jugend-Wettkämpfe austragen. Ich denke mal, dass wir demnächst fest im Wettkampfkalender auftauchen werden und Deutschlandpokale sowie Alpencups austragen werden. Außerdem hat der DSV gesehen, was wir hier für eine Arbeit leisten: Obwohl wir nicht die einfachsten Bedingungen haben, haben wir die Nachwuchsarbeit so gut vorangetrieben und dem DSV schließlich auch über Jahre Erfolg garantiert durch Stephan. Daher soll die neue Schanze helfen, auch in Zukunft wieder jemanden aus unserer Region zu haben, der ganz oben mitmischt. Hinzu kommt auch, dass die alten Anlagen, wie beispielweise in Winterberg, irgendwann ihre Zertifikate verlieren, weil sie nicht mehr den Anforderungen entsprechen. Dann greift die Schanze am Ende zu sehr in den technischen Ablauf ein. Daher nützt uns die Schanze in Winterberg leider nicht mehr und fällt als Trainingsmöglichkeit weg. Das ist in Deutschland mittlerweile bei vielen Schanzen der Fall und fällt uns jetzt eben auf die Füße.

 

Was bedeutet dieses Projekt für die Motivation der Nachwuchssportler und deren Bindung an den Verein?
Es dauert jetzt zwar noch gut zwei Jahre, aber die Aufbruchstimmung ist riesig. Sportler, Eltern, Trainer – alle sind Feuer und Flamme. Wir geben regelmäßig Updates und zeigen Zeichnungen, wie die neue Anlage mal aussehen wird. Für uns Trainer ist das auch eine große Motivation, Talente wie Steffen Lignau und Philipp Beckmann hier zu halten. Die Kinder sehen, dass sich etwas bewegt, und das stärkt die Bindung an den Verein.

 

Ein Blick in die Zukunft – welche sportlichen Erfolge erhoffen Sie sich durch die neue Schanze?
Wir wollen die Basis für weitere Medaillen legen. Die neue Schanze wird uns helfen, die Qualität zu steigern und den Standort Willingen als Bundesstützpunkt Ski Nordisch nachhaltig zu stärken. Aber das wird jetzt noch gut fünf, sechs Jahre dauern, um wieder ganz vorn anzuschließen und jemanden wie einen Stephan Leyhe zu entwickeln, der uns dann in der Nationalmannschaft Freude bereitet. Das motiviert uns Trainer aber ungemein – derzeit kümmern wir uns zu dritt um gut 30 Kinder, die regelmäßig zum Training kommen. Es ist ein langer Weg bis in die Spitze, aber in Willingen haben wir bald wieder die Möglichkeiten, um es nach ganz oben zu schaffen. Und damit wird für uns ein Traum wahr. Wir haben jahrelang auf diese Schanze hin gefiebert. Wir sind hier eine kleine, feine Gruppe, wie eine Familie, die jetzt wieder eine sehr gute Zukunft hat.

 

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Zur Person

Jörg Pietschmann kümmert sich schon seit 1996 um die Nachwuchsskispringerinnen und -skispringer des SC Willingen und formte unter anderem Stephan Leyhe, Robin Kloß und auch Michelle Göbel. Er war selbst aktiver Skispringer und hat Sport studiert. Zu den Hobbys des gebürtigen Thüringers zählen Radfahren und Schwimmen.  Vergangenes Jahr wurde Pietschmann vom DSV zum „Trainer des Jahres“ gekürt. Der 54-Jährige ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. 

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